Angry white men gegen das Ertrinken

Die Anzahl unserer Neider
bestätigen unsere Fähigkeiten

Oscar Wilde, 1854 – 1900

Kaum landet die Piratenpartei im Saarland mit 7,4 Prozent einen beachtlichen Wahlerfolg, kommen allerorten die reaktionären Neider aus der Versenkung.

Die Axel-Springer-Presse bezeichnet die Piraten in einer atemlosen Abrechnung namens Naives Schmalspur-Programm der analogen Biederkeit als Dilettanten und sieht in ihrem Wahlerfolg eine Verachtung für unser Parteiensystem. Zum Glück erklärt uns Autor Ulf Poschardt auch sogleich, woran er diese Parlamentsverachtung festmacht: einige Piraten hatten die demokratiezersetzende Dreistigkeit besessen, im legeren Outfit vor die Kameras zu treten, statt dem Wähler ihre Wertschätzung durch die Wahl ihrer Garderobe zu kommunizieren.

Worüber sich alte Männer bereits 1985 aufregten, kann 2012 schließlich nicht richtig sein.

Welt-Redakteur Ulf Poschardt fährt fort, die Rat- und Ideenlosigkeit der Piraten zu betonen, spricht von Ignoranz und Schlichtheit, von Sprach- und Kompetenzlosigkeit. Und natürlich: von den langen Haaren des Piraten Michael Hilberer. Dass lange Haare nicht nur schwer sauber zu kriegen, sondern gefährlich sind, hatten wir in den letzten 30 Jahren schon fast wieder vergessen.

Der argumentative Höhepunkt des Artikels bahnt sich mit der Parallele an, die der Autor zwischen den jungen, linken, progressiven Piraten und der erzkonservativen, zum Teil gar christlich-fundamentalistischen, Tea-Party-Bewegung in den USA zieht.

Selbst ein Verweis auf Musiker und Element-of-Crime-Frontmann Sven Regener darf nicht fehlen, der vergangene Woche mit seiner Wutrede zum Urheberrecht für viel Wirbel sorgte:

Eine Ausnahme stellt der Musiker Sven Regener dar, der die Copyright-Verachtung der Piraten als interessengeleitet kritisierte: Er sieht Piraten als Lobbyisten von Google und nannte es in einer – im Netz! – prominent gewordenen Wutrede verlogen, wenn ein Berliner Piratenfürst eine Firma betreibt, die Apps herstellt und jedweden Copyright-Verstoß juristisch verfolgen lässt.

Dass Springer & Co. für ACTA und jede Form von Leistungsschutzrecht (bedingungsloses Grundeinkommen für Verleger) sind und in diesem Punkt leider auch mit schlecht informierten Urhebern wie Sven Regener konform gehen, lässt uns Springer-Chef-Lobbyist Christoph Keese jede Woche neu auf seine sympathisch-penetrante Weise wissen.

Auch wenn es ausgerechnet Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger von der FDP ist, die ACTA in Deutschland bislang verhindert, hätte sich Die Welt sicher über ein besseres Abschneiden der wirtschaftsnahen freien Demokraten gefreut. Es reichte mit 1,2 Prozent der Wählerstimmen leider nur zur politischen Belanglosigkeit.

Fast greifbar scheint der Widerwille von Autor Ulf Poschardt, sich überhaupt mit diesen langhaarigen Neulingen befassen zu müssen. Ambitionsarm und pubertär seien diese schließlich, nicht mehr als verdruckst kichernde teigige Außenseiter. Dennoch empfängt Poschardt nicht bei sich selbst ein elitäre Selbstbewusstsein, eine offensiv vorgetragene Überheblichkeit, der bessere Demokrat zu sein, sondern bei der von ihm so verabscheuten Protestpartei.

Sein eigenes Verständnis von Politik und Mitbestimmung erklärt er uns gegen Ende des Pamphlets: der Glaube an politisches Engagement und Teilhabe für jedermann sei kindlich. In der Welt von Keese, Poschardt und Diekmann scheint gesellschaftliches Rederecht an bestimmte Parteibücher geknüpft zu sein oder daran, ob man dem Springer-Verlangshaus angehört.

Völlig absurd wird es, wenn Poschardt, das Funktionsprinzip von Springer-Flaggschiff Bild quasi in Worte fassend, den Piraten vorwirft, die Menschen mit den Versprechen einfacher Lösungen auf komplexe weltpolitische Herausforderungen zu ködern. Dazu habe der Rest der Parteien keine Chance – von ihnen werde mehr erwartet. Das, lieber Herr Poschardt, gilt auch im Verlagswesen. Von Qualitätsjournalismus erwarte ich mehr.

Nachtrag: Auf der rechten Außenbahn ist inzwischen der springer-nahe Cicero ins Piratenbashing eingeschwenkt – wenn auch nur, um seltsame Äußerungen des designierten FDP-Generalsekretärs Patrick Döring zu seinem Demokratieverständnis (Parallelen zu Ulf Poschardt sicher rein zufällig) zu relativieren.