Der heilige Journalismus des Frank Schirrmacher

Frank Schirrmacher (FAZ) hat es nicht verstanden. Im Artikel Das heilige Versprechen versucht er sich an einem Abgesang – nein, nicht auf das Zeitungswesen (die aktuelle Lage hätte dafür ja genug Anlass geboten), sondern auf das Internet. Eine Replik.

Wo ist der neue Pulitzer, Augstein, Suhrkamp?

Die Herausgeber von heute heißen Lobo, Niggemeier, Beckedahl, Vetter, Berger, von Leitner, Basic oder Haeusler1. Einige dieser Namen kommen sicher auch Zeitungsmachern bekannt vor. Und diese Blogger / Herausgeber / Journalisten machen seit vielen Jahren online, was Print-Journalisten seit Jahrhunderten machen – Nachrichten verbreiten, einordnen, kommentieren. Nur das Medium ist ein anderes, und diese Menschen arbeiten häufig für wenig oder kein Geld.

Wo gibt es das Blogger-, Startup-, Nachrichten- oder Kommunikationsmodell, das auch nur ansatzweise funktioniert?

Hat Twitter seine Relevanz nicht immer und immer wieder bewiesen? Bei den Umbrüchen im Nahen Osten genauso wie bei der Wiederwahl Barack Obamas? Ist die zunehmende Präsenz von Netzinhalten, Bloggern und Internetvorlesern in den Fernsehstudios und Zeitungsredaktionen dieser Welt nicht Beleg für den Erfolg und die Relevanz des Mediums Internet?

Dabei ist das Funktionieren einer neuen Idee natürlich Definitionssache. Vermutlich meint Herr Schirrmacher damit Geld, Umsatz, Ertrag. Immerhin gesteht er manchen Angehörigen der Internet-Community, die es in Wahrheit gar nicht gibt, zu, sich selbst und ein paar Leute unter den Bedingungen extremer Selbstausbeutung zu ernähren.

Was Podcaster Tim Pritlove dazu wohl sagen würde? Der hatte nach eigener Aussage bereits 2011 eine fünfstellige Euro-Summe nur aus Flattr-Spenden bezogen, Tendenz steigend. Und das, obwohl Tim bei Weitem nicht die Reichweite der großen Blogger oder Portale hat.

Podcasts stellen eine dieser neuen Kommunikationsformen dar, die Schirrmacher verleugnet. Flattr ist ein erfolgreiches Startup und eine funktionierende Einnahmequelle, von der er nichts weiß oder wissen will.

Was ist wirklich geschehen mit der Demokratisierung von Information

Der Informationsfreiheit geht es, trotz aller Torpedierungsversuche durch FAZ, Axel Springer und anderen gut – aber interessiert die Informationsfreiheit Sie wirklich, Herr Schirrmacher? Ihr elementares Anliegen scheint die Aufrechterhaltung eines überholten Oligopols zu sein, das nun, wie angekündigt, an einem offenen Medium mit Rückkanal zugrunde geht. Gerade die Demokratisierung von Information hat daran einen Anteil.

Wenn der Herausgeber der FAZ von Legionen gescheiterter Debattenportale, Netzzeitungen und Alternativmedien schreibt, bleibt er natürlich (hoffentlich unbewusst – ich möchte keinen tendenziösen Journalismus unterstellen) Beispiele schuldig und übersieht (unbewusst oder mangels Recherche) natürlich ebenso alle bekannten Anlaufstellen im deutschen Netz, von denen ich oben einige erwähnt habe.

Ein Blick über den Teich

Nachdem der erste Zorn verraucht ist, lässt Schirrmacher vom Thema Blogs und neue Kommunikationsformen ab und wendet sich einem Lieblingsthema deutscher Medien-Großkonzerne zu: US-amerikanische Großkonzerne. Da bekommt Amazon sein Fett weg für die ferngesteuerte Löschung / Sperrung von e-Books, Apple und Facebook für amerikanisch-prüde Zensurmaßnahmen und Google für das prominente Ranking der hauseigenen Angebote.

Diese Beispiele sind wichtig und relevant. Herr Schirrmacher verpasst jedoch leider die Chance (wenn nicht gar Pflicht als Journalist), die richtigen Schlüsse zu ziehen. Walled Gardens mit nutzerfeindlichen Regeln, wie Facebook, Twitter oder Apple sie anstreben und zum Teil schon etabliert haben, bedrohen die Freiheit des Internets ebenso wie die Überwachungs- und Zensurmaßnahmen, die durch die Köpfe von Ursula von der Leyen, Hans-Peter Friedrich oder Vladimir Putin spuken. Dem zu begegnen, wird eine wichtige Aufgabe für Journalisten, Blogger, Kulturschaffende und Politiker in den nächsten Jahren sein. Ob Herr Schirrmacher und seine Kollegen gewillt und in der Lage sind, dazu einen relevanten Anteil beizusteuern, darf allerdings bezweifelt werden.

Der Qualitätsjournalismus

Die zentrale Frage für Frank Schirrmacher ist: Wie kann eine Gesellschaft ohne guten Journalismus überleben? Womit er natürlich im Schatten des aktuellen Zeitungssterbens impliziert, dass gedruckte Zeitungen für guten Journalismus stehen (und nur diese). In dieser kurzen Formulierung wird klar, mit welch unreflektierter Arroganz, mit welchem Glauben an die eigene Unfehlbarkeit manche deutsche Medienvertreter dem Sterben ihrer eigenen Totholz-Zunft zusehen.

Die Antwort auf Ihre abschließende Frage, Herr Schirrmacher, will ich Ihnen aber natürlich nicht schuldig bleiben. Ebensowenig wie gute Musik durch den Untergang der Kassette oder der Schallplatte ausgestorben ist, wird guter Journalismus dies durch das Verschwinden der gedruckten Zeitung tun. Er wird mit anderen Akteuren und in anderen Medien weiterleben.

Nachtrag: Ein Hinweis noch zu den bösen Suchmaschinen und dem drohenden Leistungsschutzrecht: Leute wie ich wüssten nichts vom Presseerzeugnis eines Herrn Schirrmacher und würden auch schon seit Jahren nicht mehr einen einzigen Satz daraus lesen, wenn wir nicht durch Aggregatoren wie Google, Rivva, Twitter oder Virato (online!) auf einzelne Artikel aufmerksam gemacht würden. Die Machtverhältnisse zwischen Internet und Zeitung sind längst geklärt.

Mehr zum Thema: Frank Schirrmachers Online-Wutanfall (Meedia.de), Sehr geehrter Herr Schirrmacher… (Netzwertig.com), Zeitungssterben: Ihr habt mich abgehängt, Schirrmachers Mondfahrt (JakBlog), Das heilige Gebrechen von Frank Schirrmacher (Indiskretion Ehrensache), Die Dauer von Strukturwandel und die Ungeduld des Frank Schirrmacher (neunetz.com)

  1. ^ Ich hätte gerne auch einige weibliche Blogger aufgelistet, aber den einschlägigen Charts zufolge landen diese bei den Leserzahlen recht weit hinten. Stellvertretend für die vielen deutschen Bloggerinnen sei Julia Schramm erwähnt.